Zwischen Grauen und Begeisterung

Wer Kalkanstriche grundsätzlich kennt und damit Erfahrungen hat, sollte das zugehörige technische Merkblatt aufmerksam lesen und dann loslegen. Wer allerdings Neuland betritt, dem sei dieser kleine Artikel empfohlen um Ärgernisse zu vermeiden. Kalk ist ein uralter, recht universeller Baustoff. Als Anstrich bietet er vollständige Diffusionsfähigkeit und hat gute hygienische Eigenschaften. Der Feuchtepuffer von Wänden wird unterstützt, Schimmelfeindlichkeit ist gegeben und der Weißgrad ist hervorragend. Damit sind Kalkanstriche auf jeden Fall bauphysikalisch und gestalterisch sehr interessant.

Gelegentlich kreiden sie aber auch, das heißt sie färben ab. Und nicht selten wirken die Oberflächen scheckig, wolkig oder streifig. Hellere und dunklere Stellen wechseln sich eigenwillig ab und die Wand erscheint fleckig. Manch ein Maler verzweifelt an den „zickigen“ Kalkanstrichen, andere sind begeistert von den belebten Untergründen. Wie gehen wir nun sinnvoll und zielführend damit um? Es gilt, einige Grundlagen der Anstrichtechnik besonders zu beherzigen und eventuell auch einmal eine Probefläche anzulegen. Im Folgenden werde ich beschreiben wie bei Kalkanstrichen zu verfahren, was zu berücksichtigen und was zu erwarten ist:

Das Wesen der Kalkfarben liegt in ihrer Versteinerung, von einem flüssigen Anstrichmittel zu einer sehr dünnen Steinschicht. Kalkfarbe klebt nicht wie andere Farben, sie erhärtet und verfestigt sich durch Aufnahme von CO² aus der Umgebungsluft. Die chemischen Vorgänge, was dabei also passiert, erklären wir an anderer Stelle genauer. Für die Verarbeitung müssen wir wissen, dass beim Trocknen einerseits Wasser verdunstet, vor allem aber in der Feuchte gelöstes Kohlendioxid, aus der Umgebung, eine chemische Reaktion eingeht. Aus Sumpfkalk oder dispergiertem Weißkalkhydrat wird dabei Calciumcarbonat. Dieser Prozess braucht etwas Zeit, darum ist eine zu schnelle Trocknung nicht wünschenswert und könnte zu dem besagten Abkreiden führen. Sehr langsames Trocknen dagegen kann auch zu Kalkanreicherungen an der Oberfläche führen, was sich in milchig- weißlichen Schleiern äußert. Bei weißen Anstrichen bemerkt man das gar nicht, bei kräfig abgetönten Kalkfarben fällt das jedoch ins Auge. Ob scheckig und häßlich, oder ob wolkig belebt, das liegt im Auge des Betrachters.

Der Anstrich oder Farbauftrag bestimmt mit seiner Ausführung das Anstrichergebnis. Die ebenso wichtige Rolle der Untergründe beschreibe ich unter dem Stichwort Risiko. Das Ergebnis ist das individuelle Bild, das durch den Farbauftrag entsteht. Eine gleichmäßige Schicht entsteht nur, wenn „naß in naß“ gearbeitet wird, dass heißt flüssige Farbe trifft nicht auf trockene Farbe. Überstreichen wir eine Fläche, nachdem bereits eine etwas fest gewordene Schicht darauf liegt, so entsteht eine Überlappung, eine zweite Schicht, und damit eine höhere Schichtstärke. Zwei Anstriche sind aber dicker als einer, sie decken damit besser und erreichen schnell eine andere Struktur. Zum Beispiel wird in einer dickeren Anstrichschicht leicht ein Pinselstrich stehen bleiben, oder ein Streifen, der am Rand der Rolle herausgequollen ist. Der Zeitraum für das sogenannte „Anziehen“ der Kalkfarbe ist manchmal sehr kurz, eventuell nur einige Sekunden. Wärme und Trockenheit, aber besonders ein sehr saugfähiger Untergrund bedingen hier ein Problem, dem wir nur durch eine Grundierung begegnen können, und eben durch sehr zügiges Arbeiten „naß in naß“!

Die Deckfähigkeit von Kalkfarben ist gut. Natürlich ist sie abhängig von der Auftragsmenge, sehr dünne Anstriche decken nicht so gut wie dickere. Es wäre trotzdem falsch dicke Kalkfarben zu verarbeiten, man wird nicht zu guten, langlebigen Ergebnissen kommen. Das Geheimnis liegt vielmehr darin, dass sich zwei, oder unter Umständen gar drei Schichten addieren und damit gut deckende Anstriche ergeben. Diese sind wesentlich gleichmäßiger und auch haltbarer als dicke Schichten! Außerdem ist zu beachten dass Kalkfarben oft ohne Titanweiß oder andere Pigmentzusätze hergestellt werden, was ihre Naßdeckkraft mindert. Kalk mus erst trocknen, bevor er weiß wird. Wasser verändert die Lichtbrechung ganz entscheidend, so dass frische, feuchte Anstriche eher transparent und grau sind!

Eine Grundierung hat die Aufgabe die Saugfähigkeit des Untergrundes zu reduzieren. Das geschieht indem die Poren teilweise verstopft werden. Natürlich dürfen sie nicht versiegelt, also völlig verschlossen werden, das würde der gesamten Übung ihren bauphysikalischen Sinn nehmen. In Frage kommen mineralische Grundierungen wie Kalksinterwasser oder verdünntes Kaliwasserglas, die vor allem anderen eine Verfestigung von lockerem, eventuell sogar absandendem Putz bedingen. In erster Linie empfehlen wir allerdings Eiweißgrundierungen, die eine Bremse des Wasserduchgangs, aber nie eine Versiegelung bewirken. Bei genaueren Detailfragen sprechen Sie uns gerne an. Diese Grundierungen erleichtern das Streichen naß in naß, indem sie uns mehr Zeit geben. Viel Wasser aus dem Anstrich geht nicht an den Untergrund verloren und steht damit als Lösemittel der flüssigen Farbe zur Verfügung, die Anstricharbeiten werden damit weniger schweißtreibend.

Das Werkzeug spielt immer eine Rolle bei handwerklichen Arbeiten. Grundsätzlich kann man Kalkfarben auf viele Arten auftragen. Streichen, Rollen, Spritzen ist der Dreiklang universeller Malerarbeiten. Überdenken wir die bereits gegebenen Hinweise, wird allerdings klar, dass die verschiedenen Auftragsarten auch unterschiedliche Bilder ergeben können. Der Pinsel ist in der Lage heftige Pinselstriche zu verursachen. Zusammen mit der Saugfähigkeit des Untergrundes und der Viskosität des Anstrichmittels und nicht zuletzt der persönlichen Handschrift der Pinselführer/in kann hier gesteuert werden. Die Rolle verursacht Anstrichbahnen, also mehr oder weniger breite Streifen, die sichtbar bleiben, wenn man sie nicht zu einer Fläche verrollt, hin und her, kreuz und quer. Das Spritzen schließlich will geübt sein, auch hier können Wolkenlandschaften entstehen. Also: Gas geben, keine Pausen machen, und Probeflächen anlegen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, aber Übung bringt einen da durchaus voran!

Das Abtönen ist auch bei Kalkfarben möglich! Nun muss allerdings die Kalkschicht nicht nur erhärten, sie muss sich ja auch auf und in dem Untergrund verkrallen. Beides „verbraucht“ einiges an „Versteinerungskapazität“. Hinzugefügte Bestandteile verbrauchen einiges von dieser Kraft. Würde man beliebig viele Pigmente hinzufügen würde die Farbe dementsprechend später kreiden, also abfärben. Gehen Sie davon aus, dass 10% des Farbgewichtes die Obergrenze für Hinzufügungen sind. Bei anspruchsvollen Anstrichen sollte man vielleicht mit 5% zufrieden sein. Das färbt den Anstrich schon ganz beachtlich und wer mehr will soll auf andere, oder Mischsysteme zurückgreifen. Ganz wesentlich ist beim Abtönen das Anmischen; die Pigmente müssen unbedingt sehr gleichmäßig in der Farbe verteilt werden. Dazu haben wir Extrainfos verfasst und mehrere Farbkarten helfen auf dem Weg zur Wunschfarbe!

Das Risko für unschöne Anstriche liegt vor allem in sogenannten Mischuntergründen. Schon eine Fuge in Trockenbau-Plattenwänden kann sich im fertigen Anstrich deutlich abzeichnen, die Spachtelmasse hat eben eine andere Saugfähigkeit als die Plattenoberfläche. Auch Kabelkanäle oder aufgefüllte Dübellöcher oder sonstige Fehlstellen können sich wie Frottagen im Anstrich wiederfinden. Auf einer scheinbar gleichmäßigen Wand entdeckt man gelegentlich die Baugeschichte eines alten Hauses. Zugemauerte Fensteröffnungen, verbliebene überputzte Stürze, Ausbesserungen mit Lehm, Gips, Kalk oder plastevergüteten Reparaturspachtelmassen, alles kommt auf geisterhafte Weise wieder ans Tageslicht. Was hilft sind Grundierungen die egalisieren, in härteren Fällen allerdings muß eine Ausgleichsschicht her. Wandspachtel oder Kalkglätte können hier helfen um einen gleichmäßigen Untergrund herzustellen und damit einen einwandfreien Anstrich vorzubereiten. Schwierige Fälle benötigen sogar zwei Schichten, am Ende hilft nur noch ein Malervlies, dann fragt sich allerdings ob das Kalksystem noch sinnvoll ist.

Zusammenfassend bedeutet das, dass Kalkanstriche anspruchsvoller sind als man denkt, wenn man gedanklich bei der Kalkschlämme des Kuhstalls verweilt. Aber genau das ist die Bandbreite dieses spannenden Anstrichmittels, von der hygienischen Stallwand bis zu den Fresken der sixtinischen Kapelle reicht der Zauber dieses naturnahen Werkstoffes. Eine Raufasertapete kann man auch anders anmalen und das wäre vielleicht zu empfehlen, einem Denkmal oder einem gut ausgeführten Putz gereicht dieser Anstrich jedoch zur Ehre! Es geht wirklich, aber eben nicht schnell mal nebenbei, Kalkanstriche sind „altes Malerhandwerk“.

Ein Warnhinweis sollte nicht vergessen werden. Es geht um Alkalität. Kalkfarben sind immer alkalisch, haben also die basischen Eigenschaften einer Lauge. Es geht dabei nicht um Gift, sie sind in dieser Hinsicht völlig unbedenklich, aber ein pH Wert der gegen 12 gehen kann, ist mehr als reizend. Haut und Haar leiden alsbald darunter, das ungeschützte Auge kann gefährlich verätzt werden, daher der Hinweis Schutzbrille tragen! Dieser Angriff kann auch auf alle laugenempfindlichen Materialien erfolgen. Eichenparkett verfärbt sich beispielsweise schnell schwarz, sorgfältiges Abdecken ist also wichtig. Auch viele Pigmente sind nicht alkalibeständig und so kann aus einem intensiven Magenta eventuell in wenigen Stunden ein blasses Grau entstehen. Halten Sie sich an Erd- und Mineralpigmente!

© Martin Krampfer, Juli 2020